Samstag, 23. Februar 2013

Das Regionenmodell der spanischen Verfassung von 1978


Spanien zeigt in seiner jüngeren Geschichte ein ganzes Mosaik von unabgeschlossenen Versuchen zum nation-building. Die Konstruktion einer inklusiven spanischen Nation hat aber die Minderheitennationen (Katalonien, Baskenland und in gewissem Maße auch Galicien) nie für sich gewinnen können. Bis in die nachfranquistische Zeit hinein leitet sich das spanische Regionenmodell von dem französischen Modell her: Existenz zweier Verwaltungsebenen, die zentrale Regierungsebene und dazu die regionale Verwaltung mit einem sehr geringen Grad an Autonomie; insgesamt eine sehr zentralisierte Konzeption des Staates.


Zwar hat sich Spanien von einem autoritären Staat zu einem liberal-demokratischen Staat gewandelt und hat sich seit 1986 in den europäischen Integrationsprozess eingebracht. Aber die Neuerung hat nur in einem sogenannten „Staat der Autonomien“ bestanden, der eine Reihe von „Autonomen Gemeinschaften“ geschaffen hat. Der Begriff „Gemeinschaften“ ist terminologisch unhistorisch und zeigt schon durch seine Verwaschenheit – was ist eine Gemeinschaft (spanisch „comunidad“)? – und durch eine missbräuchliche Umdeutung des Wortes „Autonomie“ oder „autonom“ die Geburtswehen und Geburtsfehler der spanischen Verfassung in einer Zeit des noch drohenden Rückfalls in die militärisch gestützte Diktatur.
Eine wirklich föderative Lösung wurde nicht nur von dem nationalen Unitarismus der traditionellen Rechten verhindert, sondern entsprach auch nicht dem vereinheitlichenden Unitarismus sozialistisch-demokratischen Charakters und der jakobinischen Tendenz der spanischen Linken.
Mehr als 30 Jahre nach der Wiederherstellung der Demokratie bleibt das zentrale, ungelöste Problem der historische Widerstreit zwischen einem einebnenden Regionenmodell und der Plurinationalität Spaniens.


Es ist leicht festzustellen, dass der „Staat der Autonomien“ aus der Perspektive der vergleichenden Politikwissenschaft ein atypisches Konstrukt ist. Im Grunde geht es weder um Autonomie oder Autonomien, noch um Föderation, sondern lediglich um einen gewissen Grad an politischer Dezentralisierung. Denn die real existierende Plurinationalität wurde durch eine Aufteilung in 17 „Gemeinschaften“ (sowie zweier afrikanischer Städte, Ceuta und Melilla) eingeebnet. Die verschiedenen Nationen wurden zu Gemeinschaften gleichgeschaltet. Das Wort „autonomía“ wurde als beruhigender und täuschender Deckmantel beibehalten und wurde derart seiner eigentlichen Bedeutung entleert, dass es fast das Gegenteil dessen zu bedeuten begann, was man normalerweise unter Autonomie versteht. Es gab den berühmten „café para todos“, Kaffee für alle, damit man Sonderzugeständnisse, etwa an Katalonien, umgehen konnte. Einige dieser 17 oder 19 neuen territorialen Einheiten hatten vorher nie existiert und hatten sich selbst niemals in der Geschichte als von Spanien oder ihren Nachbarn differenzierte Entität wahrgenommen.



Unter den Elementen, die das spanische Regionalmodell von den klassischen demokratischen föderativen Modellen unterscheiden, kann man folgende hervorheben:


– Die konstituierenden Einheiten. Die „autonomen Gemeinschaften“ sind keine konstituierenden Einheiten, keine „Länder“ im bundesrepublikanischen Sinn. Die spanische Verfassung geht aus von der „unauflöslichen Einheit der spanischen Nation“ (Art. 2) und der „pueblo español“, das spanische Volk, wird als einziges Subjekt der „soberanía nacional“ (Art. 1), der nationalen Souveränität, gesetzt.


– Die Gewaltenteilung. Die Dezentralisierung der gesetzgebenden Gewalt wurde nur in halbherziger Weise verfolgt. Die zentrale Exekutive behält die Hegemonie mittels Grundgesetzen für sich, die für den gesamten Staat gelten, und die sie zielstrebig im Sinne einer Rezentralisierung auslegt. Sie wirkt durch Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften in großem Umfang auf die Rechtssetzung ein. Wir finden Überschneidungen zwischen den Regelungen der Zentralregierung und denen der „Autonomien“ in fast allen Sachgebieten, sogar auf Gebieten, die von den Verfassungen der autonomen Gemeinschaften her eigentlich deren exklusive Kompetenz sind. In Wirklichkeit können die Gemeinschaften praktisch in keinem Ressort politisch autonom agieren.


– Die Rechtsprechung. Im Gegensatz zum Bereich der Legislative und der Exekutive hat im Bereich der Judikative der „Staat der Autonomien“ praktisch keinen strukturellen und funktionalen Einfluss auf den Bereich der Rechtsprechung gehabt. Sie folgt grundsätzlich den Parametern eines zentralisierten Staates. Die Reform einiger Autonomiestatute (z. B. dasjenige von Katalonien, 2006) hat keinen bedeutenden Einfluss auf eine mögliche Föderalisierung der Rechtsprechung gehabt.


– Das Verfassungsgericht. Dies ist eigentlich kein Organ der Regierung, sondern ein Organ des Staates. Dennoch sind die autonomen Gemeinschaften bei der Berufung der Mitglieder nicht beteiligt, die nur vom zentralen Parlament (Kongress und Senat), der zentralen Rechtsprechung und der Zentralregierung benannt werden. Und das, obwohl es eine der zentralen Funktionen des Verfassungsgerichts ist, Konflikte zwischen der Zentralgewalt und den Autonomien zu lösen.


– Der Senat und die Beziehungen zwischen den Regierungen. Der Senat ist nicht mit den Autonomien verknüpft. Eine große Mehrheit der Senatoren wird von den „Provinzen“ gewählt, einem Ensemble von Verwaltungseinheiten, die ihren Ursprung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben. Auf keinen Fall ist die Behauptung der spanischen Verfassung stichhaltig, die statuiert, es handele sich um eine Kammer der Gemeinschaften. Das ist sie nicht. Es gibt auch keine effektiven Mechanismen, die das gemeinsame Regieren regeln, wie es für einen föderativen Staat üblich wäre.


– Das Finanzierungsmodell und die Haushaltspolitik. Der „Staat der Autonomien“ ist auch weit von Modellen des Finanzföderalismus entfernt, die die vergleichende Politikwissenschaft kennt. Der größte Teil der Steuern wird durch die Zentralregierung eingezogen, die dann eine bestimmte Summe für die öffentlichen Bereiche auszahlt, die in der Kompetenz der autonomen Gemeinschaft stehen. Dabei handelt es sich um ein wenig egalitätes Modell, das außerdem die finanziellen Zuordnungen nicht klar regelt. Es ist ein unstabiles Modell, das massive Ungerechtigkeiten mit sich bringt, wenn es in manchen Fällen (Katalonien, Balearen, Land València) 7% bis 10 % des Bruttosozialprodukts nicht wieder in die Ursprungsgemeinschaft investiert, sondern als politische Geschenke anderweitig verteilt. Einzig das Baskenland und Navarra haben gleich beim Beginn des Demokratisierungsprozesses erfolgreich Einspruch erhoben und mit Bezug auf historische Rechte (und auch durch den Druck der ETA) durchgesetzt, dass sie selbst alle Steuern erheben und der Zentralregierung nur die Dienstleistungen bezahlen, die diese ihnen erbringt.


– Die Europäische Union. Die autonomen Gemeinschaften sind keine politischen Akteure in Bezug auf die wichtigsten Institutionen und Entscheidungsprozesse der Europäischen Union. Die spanische Zentralregierung hat stets zu verhindern gewusst, dass die autonomen Gemeinschaften eine relevante Rolle in Europa spielen. Die autonomen Gemeinschaften bilden nicht einmal einen Wahlbezirk für die Wahlen zum europäischen Parlament.


– Die Verfassungsreform. Die autonomen Gemeinschaften partizipieren auch nicht an eventuellen Reformen der Verfassung. Diese Funktion übt das zentrale Parlament ohne Konsultation der autonomen Gemeinschaften aus.


Die allgemeine Schlussfolgerung muss lauten, dass dem „Statt der Autonomien“ ein gut Teil der institutionellen Gegebenheiten und Mechanismen fehlen, die normalerweise die Föderationen oder die Bundesstaaten charakterisieren.
Wie im Falle anderer plurinationaler Demokratien, wäre das wichtigste Ziel, das Spanien zu lösen hätte, nicht die einfache Dezentralisierung, sondern die Anerkennung und der politische Einbezug einer Wirklichkeit, die plurinational ist. Solange Spanien darauf besteht, die nationale Vielfalt zu ignorieren, wird das spanische Projekt vor der Wirklichkeit kapitulieren müssen.
Man kann sagen, dass der gravierendste Fehler des gegenwärtigen Zuschnitts des Staates der Autonomien darin besteht, zwei verschiedene Probleme durch ein und dieselbe Taktik der territorialen Strukturierung lösen zu wollen: die Dezentralisierung eines Staates und die Anerkennung der Plurinationalität. Die Vermischung der Perspektiven ist verantwortlich für die Schwäche des aktuellen Regionalmodells. Selbst terminologisch weiß der Text der spanischen Verfassung nicht zwischen dem Staat und einer seiner Gewalten, der Regierungsgewalt, zu trennen. Dies ist das Problem, das seit 1978 nicht in Angriff genommen wurde.
Es bleibt die wichtigste noch zu lösende Aufgabe des politischen Systems Spaniens.
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Ferran Requejo
Ordentlicher Professor für Politische Wissenschaft
www.ferranrequejo.cat
(Zusammenfassung Til Stegmann)

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