Sonntag, 17. Februar 2013

Das Recht auf Selbstbestimmung des Volkes von Katalonien ist Gesetz in Spanien



Am 11. September 2012 gingen zwei Millionen Katalanen auf die Straße um die Unabhängigkeit Kataloniens zu fordern. Ich war einer von ihnen, und man kann die Forderungen dieser Leute nicht anders interpretieren. Die Antwort der spanischen Politik war eindeutig und beruhte eigentlich auf einem einzigen Argument: eine solche Unabhängigkeit sei illegal.

Wannimmer wir darauf verweisen, dass die Katalanen das Recht auf Selbstbestimmung besitzen, wird uns gesagt, das Recht über Katalonien zu bestimmen sei allen Spaniern vorbehalten, da Katalonien lediglich ein Teil Spaniens sei. Dabei gibt es mehrere Argumente, welche das Recht der Katalanen, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden, bestätigen: die Souveränität, die über 700 Jahre lang existierte und auf illegale Weise im Rahmen des Dekrets der Nueva Planta abgeschafft wurde, die territoriale sowie sprachliche Einheit, traditionsreiche Einrichtungen politischer Repräsentation wie etwa die Generalitat, usw.

Nichtsdestotrotz besteht das wichtigste Argument darin, dass die spanische Verfassung selbst dieses Recht anerkennt. Dieses Argument wurde bereits reichlich durchdiskutiert, dennoch ist es so grundlegend, dass es sich lohnt, es im Detail und mit einigen zusätzlichen Nuancen zu analysieren. Da ich Ingenieur bin und kein Jurist, bin ich gewohnt, die Dinge von einem logischen Standpunkt zu betrachten. Also werde ich mich Schritt für Schritt annähern.

Bei der Internationalen Charta der Menschenrechte handelt es sich um drei äußerst wichtige Verträge, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verfasst wurden und 1976 in Kraft traten, interessanterweise nur wenige Monate nach dem Tode des Diktators (Franco):

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,
Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte,
Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.

Diese drei Verträge besitzen allgemeine Gültigkeit (d.h. dass sie für alle Menschen und Kollektive gelten), und wurden selbstverständlich auch vom spanischen Staat ratizifiert. 

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte bezieht sich zwar auf die Rechte des Einzelnen, erwähnt das Recht auf Selbstbestimmung aber nicht. Artikel 1 des ersten Teils des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte hält jedoch folgendes fest:

Artikel 1:

1. Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei
über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Entwicklung.

2. Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel
verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen
Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigen Wohles sowie aus dem Völkerrecht
erwachsen. In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden.

3. Die Vertragsstaaten, einschließlich der Staaten, die für die Verwaltung von Gebieten ohne
Selbstregierung und von Treuhand gebieten verantwortlich sind, haben entsprechend den
Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf
Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.

Dies bedeutet, dass dieser von Spanien unterzeichnete Internationale Pakt das Recht der Völker auf freie Selbstbestimmung anerkennt und dazu verpflichtet, dieses Recht zu achten und zu fördern. Des Weiteren findet sich genau die gleiche Formulierung auch in Artikel 1 von Teil 1 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 

Aus diesem Grunde erscheint es selbstverständlich, dass das Volk Kataloniens, zwei der wichtigsten Internationalen Pakte zufolge, die beide von Spanien ratifiziert wurden, über das Recht auf Selbstbestimmung verfügt. Trotzdem sind die spanische Regierung als auch die wichtigste Oppositionspartei der Meinung, dieses Recht verstoße sowohl gegen die spanische Rechtsgebung als auch gegen die Verfassung. Gehen wir der Sache auf den Grund.

Im Jahre 1977, während der Übergangsjahre, aber noch vor Verabschiedung der Verfassung, beeinflusste die Unterzeichnung Spaniens der verschiedenen Verträge der Charta der Menschenrechte indes die spanische Rechtsordnung. Im staatlichen Amtsblatt vom 30. April 1977 (Ausgabe 103, Seiten 9337 bis 9343) etwa, verkündet der König von Spanien bezüglich des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte höchstpersönlich:

Juan Carlos I

König von Spanien

Hiermit erkläre ich, dass ich den Vertrag verabschiedet und ratifiziert habe, und verspreche, ihn zu erfüllen, einzuhalten und dafür Sorge zu tragen, dass er von allen erfüllt und eingehalten wird um so die Bestandskraft und Gültigkeit des Vertrages zu bestärken. (…)

Darüberhinaus gibt das Amtsblatt den Wortlaut des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (einschließlich Artikel 1) wieder. Das heißt, dass sich im Amtsblatt der folgende Satz wörtlich wiederfindet:

Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei
über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Entwicklung.

…und Juan Carlos I also verspricht, “ihn zu erfüllen, einzuhalten und dafür Sorge zu tragen, dass er von allen erfüllt und eingehalten wird”.

Ein Jahr später, 1978, wird die spanische Verfassung verabschiedet, die sich in Artikel 10 (einziger Artikel in Titel 1) auf “das Recht der Personen” bezieht, in klarer Anlehnung an die Internationale Charta der Menschenrechte und folglich auch an die drei oben erwähnten Verträge. Absatz 2 des erwähnten Artikels lautet wie folgt:

Die Normen, die sich auf die in der Verfassung anerkannten Grundrechte und Grundfreiheiten beziehen, sind in Übereinstimmung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den von Spanien ratifizierten internationalen Verträgen und Abkommen über diese Materien auszulegen. 

Darüberhinaus besagt Artikel 96 in Titel 2 der Verfassung: 

Gültig abgeschlossene internationale Verträge werden nach ihrer offiziellen Veröffentlichung in Spanien Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung. Ihre Bestimmungen können nur in der von den Verträgen selbst vorgesehenen Form oder gemäß den allgemeinen Regeln des Völkerrechts aufgehoben, abgeändert oder suspendiert werden. 

Da keiner der Verträge der Internationalen Charta der Menschenrechte von Spanien aufgehoben, abgeändert oder suspendiert wurde, sind alle drei Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung Spaniens, d.h. es handelt sich um verpflichtende Gesetze von Seiten des spanischen Staates. 

Die einzig logische Schlussfolgerung ist deswegen, dass Spanien das Recht der Völker auf Selbstbestimmung anerkennt. Die einzige Frage, die es noch zu beantworten gilt ist demnach folgende: Ist Katalonien ein Volk im Sinne der Internationalen Charta der Menschenrechte? Die spanische Regierung hält daran fest, dass das einzige Volk mit Recht auf Selbstbestimmung das spanische Volk in seiner Gesamtheit sei. Da möchte man die spanische Regierung doch auf den Präambel der Verfassung, welcher die Absicht eben dieser definieren soll, hinweisen:

Alle Spanier und Völker Spaniens bei der Ausübung der Menschenrechte und bei der Pflege ihrer Kultur und Traditionen, Sprachen und Institutionen zu schützen.

Wenn wir nun an die beiden Internationalen Pakte denken, die 1976 ratifiziert wurden (in jenem Jahr also, in dem man mit der Abfassung der Verfassung begann), fällt es schwer in diesem Absatz den direkten Verweis auf diese Pakte zu übersehen. Es ist die Rede von “Menschenrechten”, und auch von “Völkern Spaniens” (Plural also), und nicht vom “Volke Spaniens” (Singular). Die gleiche Nomenklatur benutzend wie auch die Verträge der Vereinten Nationen, erkennt die Verfassung an, dass sich Spanien aus verschiedenen Völkern zusammen setzt, nicht aus einem. Und es sind eben diese Völker, welchen das Recht auf freie Selbstbestimmung zugestanden wird; ein Recht, welches auch Spanien mittels der erwähnten Verträge verpflichtet ist, zu respektieren.

Darüberhinaus wird den Bürgern auf der Webseite des Bildungsministeriums das Wörterbuch der spanischen Sprache zur Verfügung gestellt, in welchem eine der Begriffserklärungen des Wortes “Nation” wie folgt lautet:

Gruppe von Personen, normalerweise innerhalb eines gleichen Gebietes und auf historischer, kultureller, sprachlicher oder religiöser Ebene verbunden, die sich einer gleichen Gemeinschaft zugehörig fühlen: die katalanische Nation, die baskische Nation, die galicische Nation. Synonym: Land.

Das heißt also, dass eine Webseite der spanischen Regierung Katalonien als Nation anerkennt! Die Regierung selbst erkennt also an, dass Katalonien eine Nation, ein Land, ein Volk ist, und folglich, dem Internationalen Recht, dem staatlichen Amtsblatt als auch der Verfassung zufolge, besitzt Katalonien das Rechte auf freie Selbstbestimmung. 

Oft wird auch versucht, den Katalanen das Recht auf Selbstbestimmung zu verweigern, indem man sich auf Artikel 1, Absatz 2 der Verfassung, beruft:

Das spanische Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, ist Träger der nationalen Souveränität.

Hier handelt es sich allerdings keineswegs um einen Widerspruch. Selbstbestimmung ist ein Recht, und von diesem kann (oder auch nicht) Gebrauch gemacht werden. Solange das Volk von Katalonien von diesem Recht kein Gebrauch macht, ist es Teil des spanischen Volkes, als einheitliches politisches und juristisches Subjekt, und zugleich Teil dessen Hoheit. Es ist aber die Verkündung eines neuen souveränen politischen und juristischen Subjektes, welche das in der Internationalen Charta vorgesehene Recht auf Selbstbestimmung gerade ermöglicht. Und es ist eben dies, was das Parlament von Katalonien am 23. Januar 2013 getan hat, als es die Souveränitätserklärung (mit 85 Stimmen zugunsten, 41 dagegen und 2 Enthaltungen) verabschiedete. Diese Erklärung hält u.a. folgendes fest:
Das katalanische Volk besitzt, aufgrund demokratischer Legitimität, politische sowie juristische Souveränität.

Seit diesem Moment gibt es also zwei Souveränitäten, die des katalanischen und die des spanischen Volkes. Dadurch, dass das Internationale Recht immer über nationalen Rechtsgebungen steht, lässt sich Artikel 1 der Verfassung lediglich als Beschreibung der juristischen und politischen Situation zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Verfassung verstehen. Diese Situation hat sich nun aber im Rahmen des Rechtes auf Selbstbestimmung verändert, das sowohl von den internationalen Gesetzen als auch von der innerstaatlichen Rechtsordnung des spanischen Staates anerkannt wird.

Kann man nun verstehen, weswegen sich beispielsweise Kanada dem Recht auf Selbstbestimmung des Quebec nicht in den Weg stellte (oder auch nicht das Vereinigte Königreich im Falle Schottlands)? Spanien kann und muss mit Katalonien die Rahmenbedingungen einer Volksabstimmung aushandeln, da dies dem Willen des Volkes von Katalonien entspricht, so wie er anlässlich der vergangenen Parlamentswahlen am 25. November 2012 auf demokratische Weise ausgedrückt wurde. Es bleibt also zu hoffen, dass die spanische Regierung bald zur Vernunft kommt.

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